Murakami: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Zusammenfassung

symbol_booksmurakami - die pilgerjahre (mini)Der japanische Ingenieur Tsukuru Tazaki wurde am Ende seiner Jugend von seiner Clique ohne Erklärung verstoßen. Statt zu versuchen, die Ursache aufzuklären, zieht er sich in sich zurück, meidet Freundschaften und verdaut diesen Schlag im Stillen. Mit 36 Jahren trifft er schließlich auf eine Frau, mit der er sich ein gemeinsames Leben vorstellen kann. Diese verlangt jedoch von ihm, daß er sich den Dämonen seiner Vergangenheit stellt, also sucht er die Freunde auf, um herauszufinden, warum sie ihn damals so unvermittelt abgekanzelt hatten.

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki ist ein meiner Meinung nach typischer Roman von Haruki Murakami, verzichtet aber erfreulicherweise auf allzu viele phantastische Elemente und ist recht zugänglich & verständlich.
Obwohl der Roman keineswegs Murakamis Meisterwerk ist, ist er einer seiner besseren Werke und liest sich ebenso angenehm wie spannend, ohne die Bodenhaftung zu verlieren.

4 von 5 Sternen

4 von 5 Sternen

Hintergrund

HarukiMurakami

Quelle: en.wikipedia.org

Der japanische Autor Haruki Murakami ist hierzulande für seine surrealistischen Romane und Erzählungen bekannt. Seine Bücher wurden mit zahlreichen Auszeichnungen und Literaturpreisen prämiert und in circa 40 Sprachen übersetzt.
Er führte eine Jazzbar, war Übersetzer für amerikanische Literatur und Gastprofessor an US-amerikanischen Universitäten.

Ein in seinen Werken wiederkehrendes Thema ist der Verlust von geliebten Menschen und der Suche nach diesen. Ebenso kennzeichnen sie sich oftmals durch einen magisch angehauchten Surrealismus, wodurch viele dieser Werke einen märchenhaften Charakter erhalten.

 

Inhalt

Tsukuru Tazaki war als Jugendlicher der fünfte Kopf einer Gruppe von Gleichaltrigen, die sich ausgezeichnet verstanden und einander vertrauten, bis er wegen seines Studiums in eine andere Stadt zog. Es dauerte nicht lange, bis ihm die vier Freunde unvermittelt die Freundschaft kündigten und von ihm verlangten, daß er sie nie wieder kontaktiert, was ihn verletzte & nachhaltig aus der Bahn warf.
So war er über einen längeren Zeitraum nicht nur selbstmordgefährdet, sondern hatte auch große Schwierigkeiten, sich auf Freundschaften und Beziehungen einzulassen.

Nun ist Tsukuru 36 Jahre alt und seine neue Freundin ermuntert ihn, dem Bruch auf den Grund zu gehen, weil sie sich nicht in der Lage sieht, mit ihm zusammen zu sein, solange diese Altlast zwischen den beiden steht.
Tsukuru stimmt ihr zu und sucht die Freunde auf, um von ihnen zu erfahren, warum sie ihn vor all den Jahren so unvermittelt & vehement abgekanzelt hatten. Und erfährt von einer ungeheuerlichen Tat, die man ihm vor vielen Jahren in die Schuhe geschoben hatte.

 

Stärken

Der Roman ist recht spannend aufgebaut, indem er dem Leser Fragen aufwirft und diese zum großen Teil auch beantwortet — was bei Murakami nicht selbstverständlich ist.
Und andere Fragen werden glücklicherweise nicht beantwortet. Dadurch ist das Buch mit dem Ende nicht abgeschlossen, sondern kann durchaus über die Lektüre hinaus noch beschäftigen & unterhalten.
Die Spannung wird unter anderem dadurch erzeugt, daß Murakami zwischen der Erzählung von zwei unterschiedlichen Lebensphasen des Protagonisten abwechselt.

 

Schwächen

Eine klare Schwäche ist der oftmals überschwengliche und dadurch schwülstige Pathos, mit dem Murakami das Innenleben seines Protagonisten präsentiert. Da ich jedoch die Skripte von Helmut Krausser in dessen Journal- und Vorlesungssammlung Deutschlandreisen zum Thema Pathos gelesen habe, möchte ich diese Passagen nicht zu hart abstrafen.
Es stellt sich mir nur die Frage, ob diese Stellen von der Übersetzerin verhunzt wurden oder ob die Passagen nicht zu übersetzende japanische Poesie sind.

Eine weitere Schwäche ist das für Murakami typische Muster der Erzählung.
Dem Protagonist widerfährt eine persönliche Tragödie, die er nicht zu verstehen oder zu lösen vermag. Woraufhin sich der Protagonist an einen öffentlichen Platz setzt, Passanten beobachtet und darauf im Endeffekt darauf wartet, daß etwas von Außerhalb auf ihn einwirkt, damit er wieder zu handeln beginnt. Was natürlich [Natürlich!] eintritt.
Darüber hinaus werde ich auch diesmal nicht den Eindruck los, daß die Leben der dargestellten Personen vorbestimmt sind und sie nur Spielbälle des Schicksals sind.
Nun stellt sich die Frage, ob das Murakamis eigenes Weltbild oder nur der Stil seiner Erzählungen ist.

Der Roman hat mich stellenweise sehr stark an den Film Broken Flowers von Jim Jarmusch erinnert und die vielen Parallelen sind mir nicht entgangen. Glücklicherweise sind die Parallelen nur ansatzweise vorhanden und der Roman hat andere Aspekte, auch wenn er einen nicht gänzlich andersartigen Verlauf nimmt.

 

Fazit

Wie eingangs schon geschrieben betrachte ich Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki nicht als das Magnum Opus Murakamis, aber als einen seiner besseren Romane.

 

Daten

Murakami, Haruki: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
©2014 DuMont Buchverlag, Köln
Übersetzung: Ursula Gräfe
e-Buch, circa 321 Seiten
eISBN 978-3-8321-8773-6

2 Gedanken zu „Murakami: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

  1. ana

    „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ war meine erste Begegnung mit dem vielgerühmten japanischen Autoren Haruki Murakami. Zu meiner Freude war es eine schöne und bereichernde Begegnung.

    Hinsichtlich des augenscheinlich abrupten bzw. offenen Endes habe ich mir ebenfalls Gedanken gemacht und komme hier zu einem gegensätzlichen Schluss. Da die Handlung bereits zusammengefasst wurde, erspare ich mir ausschweifende Schilderungen und komme direkt zu meinem persönlichen Fazit. Allerdings muss ich sagen, dass meine Kenntnis der japanischen Kultur und Lesererwartung mehr als gering ist und meine Schlüsse von daher nicht auf fundiertem Wissen beruhen.

    Wie der Titel bereits expliziert, beschreibt Murakamis Erzählung die Pilgerreise des Protagonisten und zwarden langen beschwerlichen Weg beginnend am Abgrund zwischen Leben und Tod hin zur Reinigung, Erlösung und Selbstwerdung. Das Ziel der Reise Tsukurus ist m. E. der Verlust der ‚Farblosigkeit‘, welcher zum einen durch die Konfrontation mit seinem Jugendtrauma und zum anderen mit der Entwicklung sehr starker Gefühle Sara gegenüber erreicht wird.

    Es ist also gleich, ob Tsukuru es tatsächlich schafft, Sara für sich zu gewinnen oder ob sie eine Beziehung mit einem anderen Mann eingeht. Das abgeschlossene Ende der Geschichte besteht darin, dass Tsukuru sich aller möglichen Konsequenzen bewusst [sic] emotional auf einen Menschen bzw. auf eine mögliche Partnerin einlassen kann. Ein Zustand, den er in voller Vehemenz nur über einen herausfordernden und beschwerlichen Weg erreichen konnte. Tsukurus Pilgerfahrt findet ihren Abschluss folglich in der (Wieder-?) Erlangung seiner Emotionalität.

  2. remerian

    Womit ich das Buch nun auch verstanden zu haben glaube und vorbehaltlos zustimme.
    Angesichts des immer wieder auftauchenden Gefühls der Insuffizienz Tsukurus, weil er glaubt, im Gegensatz zu all seinen Freunden und Bekannten farblos zu sein, in Verbindung mit dem Ausdruck „Pilgerfahrt,“ sind die am Rande auftauchenden Probleme vermutlich tatsächlich relativ unbedeutend und ihre Lösung spielt für die Erzählung keine Rolle.

    Nun bin ich mir aber unsicher, ob ich nicht hätte 3 Sterne vergeben sollen, weil das Thema der „Pilgerfahrt,“ also der Selbstfindung, mir in dieser Präsentation keine Epiphanie oder Katharsis angeboten hat und noch nicht einmal im Entferntesten so unterhaltsam (und humorvoll, bissig und hilfreich) war wie zum Beispiel Salingers „Catcher in the Rye“ oder Bukowskis „Ham on Rye“.

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