Vincent – Self-Made Man

Zusammenfassung

vincent - self-made man (mini)symbol_books symbol_psychologyNorah Vincent ist der Behauptung, daß weiße, heterosexuelle Männer ein deutlich leichteres, weil privilegienreiches Leben führen, nachgegangen und hat 1,5 Jahre als Mann unter Männern gelebt, hat wie sie gearbeitet, Freunde gesucht und versucht, eine Partnerin zu finden. Sie hat zeitweise in einem Kloster unter Mönchen gelebt und an einer Männerselbsthilfegruppe teilgenommen.

Das Buch ist augenöffnend, informativ und unterhaltsam (soweit das Thema dies zulassen kann). Einerseits ist es tröstlich, daß eine homosexuelle Feministin konstatiert, daß das oft vorgeworfene Privileg des weißen Mannes ein Mythos ist, andererseits ist es bedauerlich, daß diese Erfahrung und das Fazit Norah Vincents so wenigen Personen bekannt ist.

Ganz klare Kauf- und Leseempfehlung.

5 von 5 Sternen

5 von 5 Sternen

Hintergrund

Norah Vincent, geboren in Detroit, MA, ein Bachelor of Arts der Philosophie, schrieb für die Los Angeles Times wöchentliche Kolumnen und vierteljährlich Kolumnen zum Thema Politik und Kultur für das nationale Schwulen- und Lesbennachrichtenblatt The Advocate. Ferner war sie ein Kolumnist für Village Voice und Salon.com. Ihre Artikel erschienen in The New Republik, The New York Times, The Washington Post und vielen weiteren.

Obwohl das nichts zur Sache tun sollte, ist es bei dem im Buch behandelten Thema wichtig zu unterstreichen, daß sie eine homosexuelle Feministin ist und daß es in den Vereinigten Staaten von Amerika seit Jahren zahlreiche Gruppen gibt, die von sich selbst behaupten, daß sie sich für die „soziale Gerechtigkeit” einsetzen und gegen das Patriarchat und gegen die Unterdrückung durch den privilegierten weißen Mann anzukämpfen.

 

Inhalt

Norah Vincent schildert in chronologischer Reihenfolge die verschiedenen Stationen, die sie in der Rolle von Ned während ihres Experiments aufsuchte.

Der Einstieg

In dem ersten Kapitel schildert Norah Vincent, wie sie auf die Idee, sich für eine geraume Zeit als Mann zu verkleiden, auszugeben und zu leben, kam, was ihr für dieses Projekt half und wie sie sich ausgiebig vorbereitete.

Freundschaft

Neds Erkundung der männlichen Welt beginnt damit, daß er sich einer Bowlinggruppe anschließt, die ihn mit offenen Armen aufnimmt und ihn trotz seiner Schwierigkeiten mit dem Bowling ohne zu Zögern, ohne Vorbehalte und Hürden zum Bestandteil ihrer Gruppe machen.
Dabei ergeben sich auch die ersten „Männergespräche,” die (deren) Frauen nur selten oder gar nicht zu hören bekommen, inklusive der Beschwerden über ebendiese oder über Komplikationen im Privat- und Berufsleben.

Sex

Selbstverständlich dürfen auch Besuche halbseidener Nachtlokale mit Entkleidungstänzerinnen nicht fehlen, schließlich kann man davon ausgehen, daß dies die Anlaufstellen schlechthin sind, wenn es darum geht, Frauen als Objekte zu betrachten & zu behandeln. Vincents Beobachtungen sind jedoch bedrückend, denn was sie schildert, ist alles andere als eine Lust- und Freizeitoase für den Mann.
Die inhumane Behandlung zwischen Tänzerinnen und Kunden ist keine Einbahnstraße und die beiden Gruppen geben sich nicht viel in der gegenseitigen Betrachtung und Behandlung. Bemerkenswert, interessant und niederschlagend finde ich die Erkenntnisse zum Thema Sexualität des Mannes und das entsprechende Urteil & Kommentar seitens Vincents.

Liebe

Was Norah Vincent als den einfachsten Aspekt vermutete, nämlich als Mann mit einer Frau anzubandeln, schildert sie als eine der frustrierendsten und niederschmetterndsten Erlebnisse. Auffällig für sie ist dabei die beinahe grundsätzliche Geringschätzung, wenn nicht gar Verachtung, die ihr in ihrer Rolle als Mann fast ausnahmslos entgegenschlug.
Amüsant wie auch interessant ist dabei die Beobachtung, daß bei einigen Damen, mit denen Ned schäkerte, die Botschaft „Bestehe meine Tests und wir schauen mal, ob du mich verdient hast” oft impliziert wurde, obwohl die Damen bei näherer Betrachtung wenig bis nichts zu bieten hatten.
Bedauernswert jedoch ist, daß es bei beiden Geschlechtern deutlich an emotionaler Stabilität und, oder: oder inneren Balance mangelt.

Leben

In diesem Kapitel schildert Norah Vincent ihr Erlebnisse & Erfahrungen, die sie in einem katholischen Mönchskloster gemacht hat. Auch hier wird Ned von den anderen Männern wohlwollend aufgenommen, bekommt aber recht bald Grenzen aufgezeigt, als die anderen Mönche den Eindruck gewinnen, daß der feminine Ned homosexuell sei und daß es deswegen wichtig wäre, eine gewisse Distanz zu gewährleisten.
Unabhängig von dieser Komplikation beobachtet Ned, daß das Klosterleben von Einsamkeit und zwischenmenschlicher Distanz geprägt ist und daß die Mönche sich mit ihrer paranoid anmutenden Aversion gegenüber Nähe und Gefühlen keinen Gefallen tun.

Arbeit

Um die Bedingungen und angenommenen Privilegien weiter auszuloten arbeitete Ned für verschiedene Firmen, die ihre Mitarbeiter als Vertreter & Verkäufer von Haus zu Haus gehen lassen und auf Provisionsbasis bezahlen. Die Angestellten erhalten kein Grundgehalt, keine Altersvorsorge, keine medizinische Absicherung, dafür allerdings Mantren der Motivation und des Erfolgs. Norah Vincent stellt fest, daß die Männer zum Großteil Blender und Renommisten sind, während die Frauen als Objekte betrachtet werden, dies allerdings sehr wohl wissen und zu ihrem eigenen Vorteil einzusetzen wissen.
Außerdem stellt Norah Vincent fest, daß den Männern nicht nur deren Großmäuligkeit und flegelhaftes Auftreten verziehen, sondern daß dies teilweise sogar erwartet wird.

Das Selbst

In diesem Kapitel nimmt Ned an einer Männerselbsthilfegruppe teil, die sich aus Männern zusammensetzt, die von der Welt, den Mitmenschen, den Frauen und der eigenen Familie unzulänglich behandelt, ausgenutzt und unterdrückt fühlen und nun versuchen, sich gegenseitig zu helfen. Ned erfährt, wie diese Männer von deren Umgebung entmenschlicht und wie Objekte behandelt & benutzt werden und daß man von ihnen nur Bestleistungen und Funktionieren erwartet.
Nach einigen Treffen der Selbsthilfegruppe begleitet Ned diese in ein Wochenendlager, wo die Mitglieder sich um eine Katharsis bemühen.

Das Buch endet mit einem Resümee seitens Norah Vincents und dem Fazit, das sie sich anschließend in psychologische Behandlung begeben mußte.

 

Stärken

Das klingt gewiß härter, als es gemeint ist und dieses Vorurteil meinerseits ist mit Sicherheit auch nicht gerade der Inbegriff eines reifen, weltmännischen Geistes, aber ich war sehr angenehm überrascht, daß sich die Autorin mit dem „Privileg des heterosexuellen weißen Mannes” ernsthaft auseinandergesetzt hat. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß sie sich tatsächlich mit offenen Augen und scharfem Blick durch die zahlreichen Situationen balancierte und daß sie nicht alles durch einen polarisierten, verzerrenden Filter (wie man ihn von sehr vielen dritte-Welle-Feministen zur Genüge kennt) wahrnahm. Problemorientiert, am Verstehen interessiert und aufmerksam.

Norah Vincent schildert als Grenzgängerin beide Seiten der Geschlechtsproblematik, so daß deutlich wird, was das Problem vieler Frauen mit vielen Männern ist und umgekehrt. Daß es in diesem hausgemachten Konflikt keine Gewinner gibt, daß unter dem Strich betrachtet fast jede Person der westlichen Zivilisation als Täter betrachtet & behandelt wird und in den meisten aller Fälle doch nur Opfer ist.

Das Fazit, daß sie zieht, ist ernüchternd. Jedoch nicht so ernüchternd wie die Tatsache, das diese Studie vom dritte-Welle-Feminismus (zu der sich (zumindest in Amerika und Großbritannien) Scharen von verzogenen, selbstsüchtigen und egozentrischen Kindern in Erwachsenenkörpern gerne & lautstark bekennen (ohne zu wissen, um was es überhaupt geht)) mit Vorliebe ignoriert wird.

 

Schwächen

Obwohl ich nachvollziehen kann, daß Norah Vincent ganz bewußt Randgruppen auswählte, finde ich es suboptimal, daß sie sich auf nur wenige Gesellschaftsschichten konzentrierte, meist die Unterschicht oder Gruppen männlicher Außenseiter. Sicherlich hätten gemäßigtere & durchschnittlichere Umgebungen weniger deutliche Ergebnisse & Erkenntnisse ermöglicht, dennoch glaube ich, daß der Studie auch die Untersuchung der Mittel- und, oder: oder Oberschicht gutgetan hätte.

Das ist keine Schwäche an sich, sollte meiner Meinung nach aber dennoch erwähnt werden. Naturbedingt konnte Norah Vincent nur die westlichen Zivilisation im Allgemeinen und der Vereinigten Staaten von Amerika im Speziellen in der Rolle als Ned erkunden. Das heißt, daß die Erkenntnisse für andere Kulturen nur mäßig brauchbar, wenn nicht gar gänzlich nutzlos sind: während in der westlichen Zivilisation Frauen und Männer nahezu gleichberechtigt sind, läßt sich nicht leugnen, daß in zahlreichen östlichen Zivilisationen und Kulturen die Frauen eine deutlich minderwertigere Rolle in der Gesellschaft einnehmen.
Und noch einmal, daß Norah Vincent dies nicht erkunden und einbeziehen konnte, ist kein Versäumnis ihrerseits, sondern schlicht und ergreifend eine Frage des Möglichen und der Praktikabilität.

 

Fazit

Self-Made Man war für mich augenöffnend: nicht nur, daß ich dank der Schilderungen und Kommentierung mehr über die Psyche der Frauen unserer westlichen Zivilisation im Allgemeinen gelernt habe, ich habe auch gelernt, Männer deutlich besser zu verstehen. Selbstverständlich bezieht sich das Lernen in erster Linie auf einen sehr kleinen Teilbereich amerikanischer Verhältnisse, aber es lassen sich durchaus einige brauchbare Aspekte extrapolieren und benutzen. 👍

 

Daten

Vincent, Norah: Self-Made Man
©2006 Penguin Books
~312 Seiten (Druckausgabe)
ISBN: 1-4295-2028-0