Zusammenfassung
Mit Sicherheit gibt es Menschen in Ihrer Umgebung, die sich entweder mit ihrem Verhalten unangenehm spreizen oder anderweitig recht schwierig im Umgang sind. Oder es ist eine Person, über die Sie sich regelmäßig aufregen, weil sie sich benimmt wie die Axt im Walde und es ebenso an gutem Benehmen wie auch an Rücksichtnahme mangeln läßt.
Die Chancen stehen nicht schlecht, daß Sie es mit einem Narzißten zu tun haben. Narzißmus ist eine unerfreuliche Charaktereigenschaft, die sich zu einer ausgewachsenen Persönlichkeitsstörung entwickeln kann, die leider nicht nur der Person selbst, sondern auch den Mitmenschen (Sie eingeschlossen) das Leben schwermacht.
In dem Sachbuch Die Narzißmusfalle geht Reinhard Haller detailliert auf das Phänomen, die Begleitumstände, die Warnzeichen und die Auswirkungen ein, was dem geneigten Leser hilft, Problemmenschen zu identifizieren und unter Umständen angemessen zu behandeln oder zu meiden.
Das Buch kann augenöffnend sein und kann das eigene Leben nachhaltig zum Besseren hin beeinflussen, ohne jedoch den Leser mit nutzlosen Augenwischereien wie „Hühnersuppen für die Seele” zu belästigen. Haller bleibt sachlich, hat den Stoff allerdings leichtverdaulich und -verständlich aufbereitet.
Hintergrund
Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe. Sein Arbeitsschwerpunkt ist das Thema Sucht, zu dem er auch ein Sachbuch veröffentlichte. Bekannt ist er der Öffentlichkeit fernerhin als psychiatrischer Gerichtsgutachter für Fälle, die hohe Wellen in der Nachrichtenlandschaft schlugen, wie zum Beispiel der Amoklauf von Winnenden.
Inhalt
Das Sachbuch beginnt mit einer polemisch-schulmeisterlichen Einleitung, mit der Haller den mittlerweile inflationär gebrauchten Einsatz der Narzißmusbezichtigung bewußtzumachen versucht. Duch die Einbürgerung in den Alltagssprachgebrauch verliert der Begriff an Gewicht und Bedeutung, was die Ernsthaftigkeit einer solchen Persönlichkeitsstörung schwerbegreiflich werden lassen kann.
Weiter geht es mit der eingehenden Beschäftigung mit dem („zeitlosen”) Mythos des Narkissos, inklusive einiger Verweise auf literarische Aufbereitungen der Sage, sei es vom römischen Schriftsteller Ovid, von Hermann Hesse oder von J. W. Goethe. Ähnlich wie in der Sage besteht für moderne Narzißten die Gefahr, daß ihre sogenannte Ichsucht ein ähnliches Ende findet; Einsamkeit, Depression, eventuell auch Selbstmord.
Haller bietet sodann mit dem Kapitel Die vier großen „E” eine Erklärung, was Narzißmus ist und wodurch er sich kennzeichnet und erkennen läßt, gefolgt von verschiedenen Spielarten (oder „Verwandten”) des Narzißmus.
Nach einem Exkurs der Intensität dieses Charakterzugs widmet sich Haller den möglichen Ursachen und Grundlagen einer entsprechenden Persönlichkeitsstörung und erklärt, daß der Grundstein dafür oftmals in der Kindheit gelegt wird (oder werden kann). Anschließend geht er auf den sogenannten malignen Narzißmus ein, auf gekränkte Reaktionen und Größenwahn, auf die Werkzeuge von Narzißten, sich ihnen unliebsamen Zeitgenossen zu entledigen, auf toxische Beziehungen mit solchen Persönlichkeiten und auf die Wechselwirkung zwischen Narzißmus, Beruf und Karriere.
Haller verschweigt nicht, daß narzißtische Persönlichkeitsstörungen mit zu den größten Herausforderungen für Psychologen und -therapeuten gehören und meist nur eher magere Erfolgschancen auf Heilung vorweisen können.
Schlußendlich beschäftigt sich Haller mit einem höchst wertvollen (wenn auch sehr kurzen) Thema, nämlich mit den Regeln für den Umgang mit Narzißten. Dann führt er die verschiedenen Spielarten von narzißtischen Persönlichkeiten, ihren Merkmalen und ihren Gefahren auf, jeweils mit einem Tip, wie man ihnen begegnen kann.
Das Schlußwort beschäftigt sich mit einem Blick in die wahrscheinliche Zukunft unserer Gesellschaft, dann folgt abschließend das Dankwort.
Stärken
Das Buch ist meiner Meinung nach eine große Hilfe, Narzißmus und dessen verschiedene Spielarten & Erscheinungsformen zu erkennen und zu verstehen. So erkennt man in den Beispielen und Beschreibungen mit Sicherheit nicht nur Mitmenschen der eigenen Umgebung mit ihren narzißtischen Impulsen, sondern oft auch sich selbst wieder.
Dabei ist es bemerkenswert, daß viele unserer Mitmenschen, die wir nur allzugerne als Psycho- oder Soziopathen oder Spinner abtun, eine narzißtische Persönlichkeit oder gar Persönlichkeitsstörung haben. Unterstützend für diese Erkenntnis sind die aufgezeigten Mechanismen der unterschiedlichen narzißtischen Ausrichtungen, die Haller auflistet.
Hierbei kommt eine weitere und wichtige Stärke zum Tragen: Haller unterstreicht, daß Narzißmus kein binärer Zustand (also Ja oder Nein), sondern stets in unterschiedlicher Ausprägungsstärke vorhanden ist. Erst wenn die narzißtischen Eigenheiten eine Schwelle überschreiten, an denen sie das eigene Leben und, oder: oder das der Mitmenschen deutlich nachteilig beeinflußt, spricht man von einer narzißtischen Persönlichkeitsstörung.
Löblich finde ich, daß am Ende des Buches die verschiedenen Narzißtentypen zusammenfassend aufgelistet werden, inklusive einiger markanter Facetten ihrer Persönlichkeitsstörung und den dazugehörigen Stereotypen (oder meinetwegen auch Klischees).
Der auf ein bis zwei Sätze herunterreduzierte Ratschlag, wie man sich den entsprechenden Narzißtentypen gegenüber verhalten sollte, sind mir ein bißchen zu kurz und zu lapidar geraten, das ist aber ein Punkt, der nicht derart aufstößt, daß ich ihn ohne Zugeständnisse unter Schwächen verbuchen möchte. 😉
Schwächen
Wie oben schon erwähnt: Das Sachbuch schwächelt etwas in dem Part, in dem der Autor Vor- und Ratschläge anbietet, wie man mit Narzißten umgehen kann, um etwaige Schäden gering zu halten oder gar zu vermeiden. Das liegt jedoch in der Natur der Sache und ist unvermeidlich, wenn man bedenkt, daß sogar Psychologen erhebliche Schwierigkeiten haben, narzißtische Persönlichkeitsstörungen zu behandeln.
Meiner Meinung nach stößt der Preis unangenehm auf, aber es gilt zu bedenken, daß es sich um ein Sach- und kein Unterhaltungsbuch handelt. Der fundierte und verständlich aufbereitete Inhalt erleichtert das Erkennen, Verstehen und den Umgang mit entsprechenden Problemmenschen, und das rechtfertigt den Preis durchaus.
Daß Haller bei diesem Thema nicht nennenswert auf die Problematik Co-Abhängigkeit und toxische Beziehungen eingeht, ist für mein Empfinden ein Fehler, den er hätte vermeiden können. Aber auf der anderen Seite hätte das vermutlich den Rahmen des Buchs gesprengt; ein kurzes Kapitel mit knappem Überblick und Hinweis auf weiterführende Literatur wäre jedoch durchaus im Bereich des Möglichen gewesen.
Fazit
Das Buch ist keine leichte Lektüre, die man zwischen Tür und Angel lesen, verstehen und verinnerlichen kann, schätze ich, für ein Sachbuch aber ist es dennoch recht gut und flüssig lesbar. Inhaltlich interessant und für das generelle Mitmenschen- und Selbstverständnis sehr hilfreich.
Eine klare, deutliche Leseempfehlung. 😀
Daten
Haller, Reinhard: Die Narzißmusfalle
©2013 Ecowin Verlag, Salzburg
209 Seiten
eISBN 978-3-7110-5091-5